2019-03-27 09:10:38
Auf die Henne gekommen
Es war der 3. Advent. Dunkel, kalt und ungemütlich. Aber in den frühen Nachmittagsstunden schien ein wenig die Sonne und der Wind ließ nach, so dass ich mit meiner Tochter Clara einen kleinen Adventsritt machen konnte. Schnell wurden die Ponys gesattelt und auf ging es in den Wald, kurz bis zum Nachbardorf und wieder zurück, die kleine Runde. Unterwegs auf unserer vertrauten Strecke bot sich aber ein gediegener Anblick. Auf dem Weg am Waldesrand saßen ein paar Hühner und pickten im Laub herum.
Wir parierten unsere Ponys zum Schritt durch und staunten nicht schlecht, denn Hühner hatten wir im Wald noch nie getroffen. Auf dem Rückweg waren sie immer noch an derselben Stelle am Waldesrand. Ich war mir sicher, jemand würde sie vermissen, denn sie mussten ja offensichtlich von zuhause weggelaufen sein. Im Dorf angekommen schauten wir in alle Gärten, ob offene Gatter oder verlassene Hühnerställe oder gar rufende Menschen zu sehen waren. Aber nichts. Wir versorgten unsere Ponys und sausten zum jährlichen Weihnachtsreiten im Reitverein gegenüber.
Es war wieder herrlich, in der geschmückten Reithalle wurde zu weihnachtlicher Musik geritten. Der Weihnachtsmann kam mit der Kutsche, die Kinder sagten Gedichte auf. Es gab eine Weihnachtstüte für alle Kinder und stolz zeigten meine vier mir, was sie für ihre Gedichte bekommen hatten. Die Menge verlief sich und es kehrte Ruhe ein. Das war der Moment, an dem ich meinem Mann von den Hühnern im Wald erzählte und ihn fragte, ob er eine Idee hätte, wessen Hühner das sein könnten. Er überlegte nicht lange, sondern meinte ganz überzeugt: Hühner laufen nicht von zuhause weg. Die muss jemand ausgesetzt haben. Und heute Abend kommt der Fuchs und hat ein schönes Abendessen.
Das war zu viel. Ich kannte mich mit Hühnern nicht aus und doch erschien es mir sehr einleuchtend, was er gesagt hatte. Für uns gab es nur eine Lösung: wir mussten vor dem Fuchs da sein und die Hühner retten. Also stiegen alle in den Familien-Bus und es ging in den Wald. Aber der Weg am Waldrand war lang. Wo in aller Welt sollte man da bei stockfinsterer Nacht ein Huhn im Wald wiederfinden? Unmöglich...... aber da ist Clara ein Gedanke gekommen. Sie erinnerte sich, dass die Hühner unter einem Tannenbaum gepickt hatten. Auf der gesamten Strecke gab es nur einen einzigen Tannenbaum, denn die meisten Bäume waren Deisterbuchen und Eichen. Das war mir gar nicht aufgefallen, aber es stimmte. Nach kurzer Zeit hatten wir den Tannenbaum erreicht. Im Licht der Scheinwerfer sahen wir ein paar Hühner im Gebüsch sitzen. Aber das waren vorhin mehr... wo waren sie nur geblieben? Mit der Taschenlampe konnten wir sie in der Höhe zwischen den grünen Ästen des Tannenbaumes sehen. Wir guckten von unten auf flauschige Hühnerpopos, aber weder Rufen noch Zwitschern hat die Hühner von ihren Plätzen gelockt. Drei Hennen konnten wir aus dem Gebüsch nehmen. Sie haben keine Gegenwehr geleistet. Heute weiß ich, dass Hühner im Dunkeln ziemlich hilflos sind und außer Geschrei nicht viel zustande bringen, aber damals war ich begeistern, wie erfolgreich mein Hühnerfang war.
Im Auto saß unser kleiner Hund, eine kernige Terrier-Hündin. Die würde garantiert nicht klaglos ihren Platz mit den aufgegriffenen Hühnern teilen. Hundeleine? Fehlanzeige. Im Kofferraum lag ein Halfterstrick. Damit wurde kurzerhand der Hund an der Anhängekupplung fixiert. Eine Henne nach der anderen haben wir ins Auto gesetzt, wo sie im Licht auch ein wenig munter wurden und den mitgebrachten Hafer pickten.
Als klar war, dass wir nicht mehr ausrichten konnten, klemmten die Kinder sich den sehr interessierten Terrier fest unter den Arm und wir fuhren zu unserem Hof zurück. Dort setzten wir die geretteten Hennen in den uralten Hühnerstall, der seit Jahren verlassen, aber doch bereit für neue Einwohner im Obstgarten stand. Am nächsten Morgen wollten wir die anderen Hennen holen, denn sie waren ja da oben im Tannenbaum in Sicherheit.
Der Wecker klingelte früh, alle sprangen aus den Betten. Die Älteste ging schon aufs Gymnasium, da durfte man natürlich nicht zu spät kommen. Die kleinen Kinder gingen noch in Kindergarten und Grundschule, da konnte Papi sie hinbringen. Clara sollte mir helfen und durfte deswegen zunächst mit in den Wald fahren. Wir hofften, noch ein paar Hühner einfangen zu können. Als Lockmittel hatte ich schnell noch ein paar gekochte Spiralnudeln mitgenommen. Ein Tipp meiner Freundin, die sich mit Hühnern auskannte.
Die Hennen saßen immer noch im Tannenbaum, als wir ankamen. Clara und ich pfiffen und gackerten, wir lockten und zwitscherten, wir riefen und schwiegen, aber nichts passierte. Die ängstlichen Hühner saßen hoch oben im Tannenbaum und glotzen herab. Anstatt die Nudeln am Boden zu essen, haben sie nur ängstlich geschaut, was da unten los war. Die Zeit verging, die erste Schulstunde hatte bereits ohne Clara begonnen, aber kein Huhn näherte ich dem Weg. Ein paar Frauen mit Walking Stöcken kamen vorbei und wir hatten die Befürchtung, sie hielten uns für verrückt. Verstecken war in dem laublosen Winterwald nicht möglich. Also grinsten wir freundlich und wünschten einen guten Morgen. Als sie vorbei waren, blickten wir weiter nach oben und warfen die Nudeln in die Höhe, um das verängstigte Federvieh anzulocken. Aber wir waren nicht erfolgreich. Letztendlich habe ich Clara zur Schule gefahren, ging selbst zur Arbeit und wir haben sofort in der Mittagspause die dritte Tour in den Wald unternommen. Nun waren die Hühner auf dem Weg. Sie scharrten und pickten, wie Hühner das so tun. Die Nudeln waren alle weg, die hatten sie wohl aufgefuttert. Aber zu uns kommen wollten die vier Hennen noch lange nicht. Da durch Locken nichts zu machen war, fingen wir an, die Hennen zu jagen. Und siehe da, wir konnten zügig drei einfangen. Aber die letzte Henne war ein echt schwerer Fall. Sie stürmte durch das Unterholz, wendete und schlug Haken wie ein Kaninchen. Wir rannten hin und her, es dauerte und dauerte. Irgendwann rutsche ich auf einem glitschigen bemoosten Ast aus und fiel zu Boden. Clara war behänder als ich und letztendlich hatte die arme flüchtende Henne irgendwann den Gedanken, dass sie sich in einem Reisighaufen verstecken könne. Sie tauchte in das lose Geäst und rührte sich nicht. Clara konnte sie festhalten, aber durch die vielen Äste nicht greifen. Sie fixierte die Henne und rief laut nach mir. Ich rappelte mich aus dem Laub hoch und in der Zeit, bis ich heraneilen konnte, ergab sich eine lustige Sache: eine Maus, deren Mauseloch in unmittelbarer Nähe von dem Reisighaufen war, sauste aus ihrem Versteck, wohl gestört von dem Tumult vor ihrer Haustür. Das Mäuschen flitzte geradeaus gegen die Henne, die ihr den Weg versperrte, fiel um und rannte zurück, woher sie gekommen war. Clara konnte nur staunend zusehen, denn sie hielt immer noch die r Henne fest. Nun kam ich heran und konnte das letzte Huhn aus dem Haufen hervorholen. Im Auto angekommen waren die Hennen ganz munter auf der Rückbank. Anstatt auf dem Boden zu sitzen, wie ich das erwartet hatte, setzten sie sich auf die Rücklehne in eine Reihe. Der Bus hoppelte durch den Wald und die Hennen gackerten. In den Kurven breiteten sie die Flügel aus, um ihr Gleichgewicht zu halten. Bald kamen wir auf die Straße und es war ein toller Anblick im Rückspiegel, was wir für eine Fracht hatten. Ich bin mir sicher, der Autofahrer hinter uns hatte auch sein Vergnügen. Solch einen Transport sieht man nicht alle Tage.
Im Hühnerstall angekommen bekamen die 7 Hennen Weizen und Wasser, Nester mit goldenem Stroh und sie saßen auf der verlassenen Stange, auf der schon viele Jahre kein Huhn mehr gesessen hatte. Seit dem 3. Advent damals haben wir nun Hühner. Es ist eine absolute Bereicherung für unsere Familie. Wir lieben die frischen Eier, genießen das Krähen der Hähne und freuen uns an den schönen Gefiedern der Hennen. Ach ja, Hähne waren nicht im Wald, aber eine Freundin, die zeitgleich zu unserem Hühnerfund ihre Hühnerhaltung aufgeben wollte, hat uns ein paar Sulmtaler Hennen und den wunderbaren Hahn Caruso geschenkt. Damit ging das Hühnertreiben auf unserem Hof los. Über die Jahre wurden viele Küken ausgebrütet und leider fielen auch einige Kreaturen dem Habicht oder Fuchs zum Opfer. Das Kommen und Gehen der Hühner belebt den Alltag auf dem Hof und bescherte uns noch viele schöne Geschichten.
Wie wir später herausfanden, hat ein Mann, der wegen schlechter Haltung seiner Hühner Ärger mit dem Tierschutzverein hatte, die Hennen in den Wald gefahren. Nach einigen Tagen erschien über unseren Fund ein kleiner Artikel in der Zeitung. Kurze Zeit später meldete sich ein Mann bei uns, der den Artikel gelesen hatte, weil er an anderer Stelle im Wald noch mehr Hühner gesehen hatte. Tatsächlich konnten wir auch dort noch zwei Hennen einfangen. Das war der Beginn einer glücklichen Hühnerzeit auf unserem Hof.