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2019-03-27 09:15:46

Die kleine Henne Dussel - ein wahre Geschichte

Im Herbst vor einigen Jahren fand sich ein Habicht am Deisterrand ein und wollte gerne Hühner reißen. Er flog über den kleinen Hof und sah die Hennenschar unter den Bäumen laufen und Gras picken. Da setzte er sich auf einen Ast und schaute hinunter. Es waren ganz schön viele Hennen. Er suchte sich eine schwarze Henne aus, nahm genau Maß und sauste hinunter. Er landete auf der Henne, versuchte, sie zu packen doch sie flatterte erschrocken mit den Flügeln und fing ganz laut an zu schreien. Auch die anderen Hennen fingen so laut an zu schreien und zu zappeln, dass der Habicht, weil er noch unerfahren und jung war, den Halt verlor. Die schwarze Henne, ihr Name war Nora, flüchtete unter einen Rhododendron und der Habicht flog ohne Beute davon.

 

Der Schreck sass Nora tief in den Knochen. Ihr Rücken tat weg und ihre schönen schwarzen Federn waren zersaust und struppig. Müde ging sie abends in ihren Hühnerstall und hatte keine Kraft, sich auf die Stange zu den anderen Hennen zu setzen. In einem Nest, in dem die anderen Hennen tagsüber Eier gelegt hatten, machte sie es sich gemütlich und blieb sitzen. Auch am nächsten Tag stand sie nicht auf. Die Bäuerin sah Nora im Nest sitzen und war erleichtert, dass sie den Angriff überstanden hatte. Im Garten neben dem Rhododendron lag nämlich ein großer Haufen schwarzer Federn. Damit ihr nichts passiert, ließ sie Nora in dem schönen warmen Nest sitzen.

 

Und wenn eine Henne schön lange, nämlich genau 21 Tage auf ihren Eiern sitzt, dann schlüpfen die Küken aus. Und so kam es. Aber da Nora erst im September angefangen hat, zu brüten, war schon schlechtes, kühles und regnerisches Wetter, als die Bäuerin am ersten Oktober morgens in den Stall kam und ein leises Piepsen hörte. Nora gluckerte mit leisen Tönen, denn so machen das die Hennen, wenn sie mit den Küken sprechen, die unter ihnen sitzen. Und unten drunter machte es schon kräftig „Piep!“.

 

Vier Eier waren es insgesamt gewesen und von einem lag nur noch die Schale unter Nora. Das kleine gelbe Küken lugte munter zwischen Noras Federn hervor, es war schon ganz trocken und flauschig. Die anderen Hühner gingen hinaus in den Regen, denn denen macht das schlechte Wetter nichts aus. Aber wenn kleine Küken nass werden, dann erkälten sie sich und müssen oftmals sterben. Ja, was denn nun? Die Bäuerin überlegte. Wenn sie das Küken mit der Mutter dort sitzen ließe, könnte es sich erkälten, wenn es am nächsten oder übernächsten Tag hinausläuft würde, um die Welt zu erkunden. Und wenn die Bäuerin die Tür vom Stall zumacht, können die anderen Hühner nicht hinein, wenn sie in ihren Nestern Eier legen oder ein bisschen im Trockenen auf der Stange sitzen wollen. Also nahm die Bäuerin das ganze Nest mit der Henne, dem Küken und den noch geschlossenen Eiern mit und brachte es in den warmen Heizungskeller.

 

Die Henne saß noch 2 Tage auf den Eiern, doch nichts passierte. Es war nur das eine kleine gelbe Küken da und mehr schlüpften nicht aus. Die Kinder der Bäuerin brachten dem Küken und der Henne schönes Futter. Sie kochten Eier und schnitten sie in klitzekleine Teile, damit das Küken sie gut picken konnte. Sie sammelten Brennnesseln, schnitten sie ganz klein und kauften im Landhandel Kükenstarterfutter, damit das Küken wachsen konnte.

 

Die Tage vergingen und dem gelben Küken wuchsen schon kleine Federn an den Flügelchen. Es lief munter umher, pickte hier und da und war im Heizungskeller ganz zufrieden. Als an manchen Tagen die Sonne schien, trugen die Kinder die Henne und das Küken hinaus in den Garten, wo die beiden im Blumenbeet nach schmackhaften Würmern suchten und ein bisschen scharrten und pickten. Die Henne Nora brachte ihrem Küken bei, sich im Sand zu hudern, um das Federkleid zu säubern und kleine Tierchen mit Sand hinaus zu waschen. Das Küken machte alles nach…. Es versuchte zu scharren, wie die Mutter und fiel dabei hin. Es lief hinter der Mutter her und verirrte sich zwischen den hohen Blumen, es piepste laut und rief so nach seiner Mutter. Wenn die Mutter scharrte, stellte das kleine Küken sich direkt hinter sie und flog im hohen Bogen zu Boden, weil die Henne es nicht sah. Hennen scharren ganz schön stark. Aber das Schlimmste, was dem kleinen Küken passierte: es fiel in den Gartenteich. Zum Glück ist es ganz am Rand gelandet und konnte sich wieder hinausretten. Die Kinder fanden es, als es ganz pudelnass war. Sie haben es abgetrocknet und in ein warmes Handtuch gewickelt.

 

Da das kleine gelbe Küken bisher noch keinen Namen hatte und sich manches Mal dusselig anstellte, nannten die Kinder es Dussel. Und Dussel wuchs und wurde eine kleine braune Henne mit einem Häubchen aus Federn auf dem Kopf. Sie sah ihrer Mutter gar nicht ähnlich, denn bestimmt war das Ei nicht von Nora, sondern von einer anderen Henne in das Nest gelegt worden. Das machte aber Nora und Dussel nichts aus. Sie waren Mutter und Tochter und lebten froh und munter den ganzen Winter im Heizungskeller. Wenn das Wetter es zuließ, trugen die Kinder sie in den Garten und brachten sie zum Schlafen wieder hinein.

 

Als im Frühjahr das Wetter besser wurde und die Sonne die Erde erwärmte, schimpfte der Bauer, weil im Heizungskeller viele kleine und grössere Hühnerköttel lagen. Und die Hühner fanden es gut, auf den Rohren der Heizung zu sitzen, wo es schön warm an ihren Füssen war. Wenn sie mal mussten, liessen sie einfachet was fallen. Die Bäuerin fegte immer wieder den Heizungskeller, aber es wurde immer staubiger und muffeliger.

 

Eines Tages meldete sich der Schornsteinfeger an und wollte die Heizung kontrollieren. Da kriegte die Bäuerin schreckliche Angst, dass er schimpfen würde, wenn auf der Heizung zwei Hühner sitzen. Dass Wetter war schon ganz frühlingshaft warm und da nahm sie Nora und Dussel und brachte sie in den Stall zu den anderen Hühnern. Dussel war mittlerweile eine kleine Henne geworden, sie lief mit den anderen Hühnern umher und scharrte im Hühnerhof. Der Hahn war ein großer alter Kerl, der auf alle Hennen aufpasste. Er stieg auch ab und zu auf die Hennen, um sie zu befruchten und zerrte ihnen dabei an den Federn im Nacken. Er war dick und schwer und als Dussel alt genug war, kletterte er auch auf sie. Das fand Dussel so schrecklich, dass sie jeden Tag versuchte, dem Hahn zu entkommen. Aber er verfolgte sie und zerrte an ihren Federn.

 

Auf dem Bauernhof gab es noch einen Pferdstall, in dem goldenes Stroh eingestreut war und die Islandpferde von der Bauernfamilie lebten. Der Stall hatte eine große Tür, die immer offe stand und die Pferde konnten von ihrer Weide rein- und rausgehen, wie sie wollten. Im Stall war es behaglich und duftete nach Stroh und Heu. In der einen Ecke war ein Kaninchenstall, in dem die Kaninchen leckeres Futter bekamen und umherhoppelten. Wenn das Wetter schön war, trug die Bäuerin sie morgens hinaus in den Kaninchenauslauf und Dussel konnte wunderbar im übrig gebliebenen Kaninchenfutter umherscharren und fand das ein oder andere Körnchen, das ihr prima schmeckte. Auch den Wassernapf von den Kaninchen fand Dussel so prima, dass sie zum Trinken immer dort hinlief. Das Allerbeste war, dass der alte Hahn sie im Pferdstall nicht finden konnte. Wenn Dussel ihn kommen sah, duckte sie sich ins Stroh, so dass er sie nicht sehen konnte. Bald waren ihre Federn, die der Hahn so zerzaust hatte, schön und glatt nachgewachsen. Ihr Federkleid war glänzend und herrlich braun mit einem kleinen braunen Häubchen auf dem Kopf. Dussel hatte einen klitzekleinen roten Kamm, der an der vorderen Hälfte ein wenig schief war und so sah es aus, als hätte sie ein Spitzenhäubchen auf. Wenn die kleine Henne ging, setzte sie anmutig ihre gelben Hühnerbeinchen voreinander und schritt sehr damenhaft im Pferdestall umher.

 

Abends gingen alle Hennen in den Hühnerstall auf ihre Sitzstangen, aber Dussel blieb im Pferdestall. Dort war es warm, die Pferde schnaubten wohlig und es war sehr friedlich. In der Futterraufe fand Dussel immer noch ein Körnchen, das die Pferde überließen und sie lebte sehr gut. An der Wand hing ein altes Bücherregal, das schon ein wenig kaputt war. Dort oben kletterte Dussel hinauf und saß da die ganze Nacht. Sie klappte ihre Augenlider hoch, denn bei Hühnern klappen die Lider von unten nach oben, anders als bei den Menschen und war sehr zufrieden. Morgens wenn die Bäuerin kam, hatte sie für Dussel oft eine Kleinigkeit mitgebracht. Entweder ein bisschen Reis oder eine kleine Kartoffel, ein Salatblättchen oder eine Brotkante. Wenn Dussel sie kommen sah, freute sie sich und gackerte munter los, bis sie bekommen hatte, was für sie bestimmt war.

 

Eines Tages passierte es, dass die Pferde sich bei einem lauten Knall auf dem Hof erschreckten und liefen los. Dussel sprang noch schnell zur Seite, aber es war bereits passiert: ein Pferd hatte ihr aus Versehen auf den Fuß getreten und ihre einer Hühnerzehe war verletzt. Die Kralle war blutig und schmerzte sehr. Als die Bäuerin das abends sah, versorgte sie die Kralle mit einer guten Salbe und es wurde bald wieder besser. Doch so lang wie der andere Hühnerzeh wurde dieser verletzte nie wieder.

 

Als Dussel ein dreiviertel Jahr alt war, fing sie an, kleine Eier zu legen. Sehr kleine Eier. Die von den anderen Hühnern waren viel grösser und wenn die Bäuerin einen Kuchen backte, konnte sie immer sehen, welches Ei von der kleinen Henne war. Es waren schöne, helle Eier mit runder Schale und sehr gelbem Eidotter. Zuerst hat Dussel die Eier auf den Boden in eine dunkle Ecke gelegt. Aber das war nicht sehr gemütlich und die Bäuerin hat Dussel ein Nest mit Stroh hingestellt, damit sie ihre Eier hineinlegen konnte. Das wollte aber die eigenwillige Henne nicht. Sie fand an der Wand einen Futtereimer für Pferde hängen, der leer war und da kletterte sie hinein, legte ein Ei und fand die Aussicht so gut, dass sie nun immer ihre Eier in den Eimer legte. Die Kinder haben ein wenig Stroh in den Eimer gelegt, damit es weicher war und die Bäuerin hat ihre Gummistiefel unter den Eimer gestellt, damit Dussel darauf springen konnte und so besser in den Eimer flattern konnte, der hoch über dem Boden hing.

 

Mit den Wochen hat Dussel sich bei den Pferden so gut eingelebt, dass für alle klar war, sie würde nicht mehr in den Hühnerstall einziehen. Die Pferde kannten sie gut und fraßen mit ihr aus ihrer Futterraufe. Nachdem der Bauer den Stall mit dem Traktor ausgemistet hat, streute er schönes duftendes goldgelbes Stroh hinein. Die Pferde legten sich wohlig hinein und weil es so gemütlich war, legte Dussel sich in ein wenig Entfernung mit in das schöne Stroh. Für die Pferde war es gar nicht ungewöhnlich, dass die kleine Henne immer bei ihnen war. Niemals wieder hat jemand ihr auf die Füße getreten oder sie verletzt. Ganz im Gegenteil, sie mochten sich wirklich gerne leiden und lebten friedlich zusammen.

 

Als der Herbst zuende ging, wurde es draußen kälter und die Pferde bekamen ein dickes wärmendes Winterfell. Hühner sind in ihrem Federkleid nicht empfindlich in der Kälte und können auch im Schnee gut laufen. Tagsüber hat Dussel sich genau wie im Sommer in der Pferdewiese aufgehalten, doch wenn sie abends in den Stall kam und es noch keine Schlafenszeit für Hühner war, da hat sie gemerkt, wie toll es ist, wenn man oben auf einem Pferd sitzt und sich auf dem Pferderücken wärmen lässt. Die Pferde hatten nichts dagegen und so hatte die kleine Henne immer einen warmen Platz.

 

Den ganzen Winter über lebte Dussel alleine im Pferdestall ohne andere Hühner. Sie legte ab und zu ein Ei und tat das immer zuverlässig in ihrem Eimer. Langsam wurde es draußen wärmer und das Gras fing an, grün zu werden. In der Hühnergruppe lebten zwei neue Hähne. Einer war weiß und leuchtete weithin. Er war sehr damit beschäftigt, seine Hennen zu behüten und wollte sie alle für sich haben. Der kleinere dunkle Hahn mit den schönen grünen Schwanzfedern hatte nur eine oder zwei Hennen, die bei ihm blieben, die anderen liefen alle hinter dem stattlichen weißen Hahn hinterher. Dieser stolzierte über den Hof und krähte laut: „kikeriki, kikeriki“.

 

Eines Tages führte der stattliche Hahn seine Hennen an der Pferdewiese vorbei. Plötzlich sah er Dussel, wie sie im Gras scharrte und nach Würmchen suchte. Er sauste durch das hohe Gras und wollte seinen Hahnentanz machen, um Dussel für sich zu begeistern, aber Dussel war schlau. Sie sah ihn kommen und ahnte schon, was er mit ihr vorhatte. Er wollte ihr an den Federn zausen und mit seinen großen Füssen auf sie drauftreten. Darauf hatte sie keine Lust. Bis er angekommen war, hatte sie den Kopf gehoben und geschaut, welches der Pferde in ihrer Nähe war. Zum Glück, es war die kleine schwarze Stute. Das konnte Dussel schaffen. Sie spreizte ihre kleinen Flügel und flatterte los. Als sie auf dem Pferderücken landete, erschreckte sich die schwarze Stute ein wenig, aber sie kannte Dussel ja aus dem Stall. Langsam ging sie los und Dussel blieb auf ihrem Hinterteil sitzen. Der weiße Hahn stand in der Wiese und schaute umher. Er konnte keine Dussel mehr sehen und nachdem er keine kleine Henne mehr erblicken konnte, rannte er mit riesigen Schritten zurück zu seinen anderen Hennen. Dussel aber saß oben auf dem Pferd und war in Sicherheit. Als er weg war, stieg sie ab und suchte weiter im Gras nach Leckerbissen.

 

Weil Dussel im Pferdestall ganz heimisch war, hat der Hahn sie fast vergessen. Tagsüber lief er mit seinen Hennen im Hühnerhof umher und nur selten kamen sie an der Pferdewiese vorbei, wo Dussel tagsüber mit den Pferden umherlief. Sie schaute in allen Pferdeäpfeln nach, ob da nicht leckere Würmchen oder Käfer zu finden waren. Sie scharrte und suchte, sie trank auch gerne aus der großen Pferdetränke und war immer mitten in der Pferdeherde.

 

Der kleine Hahn mit den grünen Schwanzfedern hielt sich immer ein wenig abseits der anderen Hühnergruppe auf, damit er keinen Ärger bekam. Und wenn er mal bei Dussel vorbeikam, so war er auch nicht aufdringlich oder frech zu ihr, er war auch nicht so dick und schwer wie der andere Hahn und so konnte Dussel tatsächlich ein wenig in Gesellschaft mit dem kleinen Hühnerclub draußen scharren und picken. Aber abends ging Dussel allein in ihr Bett auf dem Bücherregal und der kleine Hahn ging mit seinen 2 anderen Hennen in den richtigen Hühnerstall.

 

So waren alle glücklich und zufrieden und lebten auf dem Bauernhof am Deisterrand.