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2019-03-28 15:06:16

Erwin

Erwin der Marder

 

Ein sonniger und sehr warmer Tag kurz vor Pfingsten ging zu Ende. Wir wollten noch eine Runde Tennis spielen. Damen Doppel. Der Platz lag zum Teil in der Sonne und zum Teil bereits im Schatten des Waldes hinten in unserem Garten. Als meine Tennispartnerinnen kamen, zog ich mir noch die Schuhe an und stürmte hinterher. Da rief schon eine: „Bring mal eine Schaufel mit, hier liegt ein totes Tier auf dem Platz“

„Was für ein Tier?“ Fragte ich. „Keine Ahnung, was mit Fell.“ Ich wurde stutzig. Ein Tier, das nicht auf den ersten Blick zu erkennen war, machte mich neugierig. Ohne Schaufel sauste ich zum Platz und da lag ein braunes Tier. Ganz schön flauschig mit einem behaarten Schwanz. Keine Maus oder Ratte, aber auch kein Waschbär. Wir standen drum herum. Da sahen wir, dass es sich bewegte. Es war gar nicht tot! Aber so richtig lebendig war es auch nicht. Ich traute mich nicht, es anzufassen, sondern wir schoben es vorsichtig auf meinen Tennisschläger. Da lag es nun und hob den Kopf. Ein niedliches Gesicht schaute matt und dennoch hatten wir Angst, es könnte beißen. Es könnte ein Marder sein….. ja, das muss wohl ein junger Marder sein.

 

Eigentlich wollten wir ja Tennis spielen. Und dieses Tier musste erst einmal in den Schatten, das hatte bestimmt einen Hitzschlag. Also wurde der große Balleimer ausgeschüttet und der Marder kam hinein. Eine Abdeckung aus Gartenpolstern, natürlich mit Luftschlitz, wurde gebaut und die Kinder holten ein paar Nahrungsmittel: ein Stück Banane, ein Klecks Leberwurst, ein Schälchen Wasser.  Dann wurde Tennis gespielt.  Nachdem das Match zu Ende war, fiel mir der Eimer wieder ein. Ich rief die Kinder. Alle äugten in den Eimer. Es bewegte sich und der kleine braune Flauschi war zwar sehr wackelig aber deutlich lebendiger, als zuvor in der Sonne. Sterbenskrank sah er nicht aus. Wir hatten, Angst, er würde uns beißen, denn Marder haben ja bekanntlich sehr spitze Zähne.

 

Mit riesigen Lederhandschuhen bekleidet beobachtete ich, wie er aus der Tonne kam, nachdem ich die auf die Seite gelegt hatte. Er torkelte und schwankte, schaut aber umher. Die Leberwurst hatte er aufgegessen und die Banane war auch ein wenig angekaut. Er muss sehr ausgetrocknet gewesen sein, die Sonne hatte ihn so weit gebracht, dass er bereit war, zu sterben. Aber nun keimte der Lebenswille auf. Marder sind ja normalerweise nachtaktiv. So war ich ziemlich sicher, seine Mutter würde am späteren Abend kommen, um ihn abzuholen. Ich saß auf der Bank und schaute ihm zu. Er war nicht so richtig entschlossen, was er tun sollte. Vorsichtig nahm ich ihn auf den Arm. Mit den großen Handschuhen versteht sich. Da turnte er ein wenig bei mir rum, fand den Eingang zu meiner Strickjacke, kletterte hinein, rollte sich zusammen und schlief. Verdattert saß ich da und schaute ihm zu. Er war so friedlich, so flauschig, so beschützenswert. Ich zog meine Handschuhe aus, denn er war ja offensichtlich nicht sehr bissig. Ich streichelte sein Fellchen. Es war zwar flauschig, aber irgendwie struppig und etwas fettig. Das Schwänzchen war bezaubernd und die kleinen runden Füße mit rosa Ballen sahen so neu und unverbraucht aus. So saßen wir da und die Zeit verging. Ich grübelte, was zu tun sei. Mein Herz war bereits für ihn geschmolzen. Ich wusste ja nicht, ob es ein Junge, oder ein Mädchen sei, aber irgendwie sah er aus wie ein Erwin. Ja, er sollte Erwin heißen. Und wenn seine Mutter ihn abends nicht abholen käme, hätte ich auch nichts dagegen.

 

Erwin war sehr müde. Er schlief und schlief.  Unser Hund Lilli hat Erwin als Kind adoptiert. Sie wollte, dass er bei ihr Milch trinkt, stellte sich über ihn und schon ihn unter ihren Bauch, aber da war ja gar keine Milch. Und Erwins Mutter hatte bestimmt auch nicht so einen nackten Hundebauch, deswegen erkannte Erwin nicht, was er da sollte. Er war auch ganz zufrieden mit Wasser aus einem Schälchen und Katzenfitter, das wir ihm gaben. Im Internet gibt es eine super Seite zur Marderhilfe, da konnte man alles ganz detailliert nachlesen, was zu tun ist, wenn man einen Marder aufpäppeln möchte. Futter, Haltung, alles wurde beschrieben und ich war in kurzer Zeit bestens im Bilde. Erwin ging tagsüber in den Garten mit uns, er torkelte ein wenig im Rhododendron umher, kam aber immer schnell zurück und kletterte an unserem Bein hoch. Am liebsten war er bei Lilli. Und gemeinsam lagen sie in der Küche unter der Bank. Das war ganz idyllisch. Zum Schlafen legten sie sich nebeneinander und waren wie Mutter und Kind. Erwin musste nichts entbehren. Mein Mann war nicht ganz so glücklich mit dem neuen Bewohner. Als Jäger hat man keine warmen Gefühle für Marder. Morden sie doch Singvögel, plündern Gelege und nicht zuletzt zerfressen sie die Autos. So einen barbarischen Gesellen sollte er in unserer Küche dulden…… er knurrte, aber es war noch auszuhalten.

 

Man sollte noch erwähnen, dass Erwin einen Geruch hatte. Nicht ganz schlimm, wie man meinen könnte, wenn man sagt „der stinkt wie ein Iltis“ aber irgendwie ein wenig muffelig. So ein Marder Muff eben. Lilli störte das nicht. Er war ihr Kind geworden und Erwin war das ganz recht. Doch irgendwie bekam er ein breites Gesicht. In seiner Wange war eine Vereiterung. Da ich mir nicht sicher war, was ich tun sollte, fuhr ich mit Erwin im Transportkörbchen zum Tierarzt. Der ist auch Jäger und rollte mit den Augen, als er sah, was für einen Zögling ich anschleppte. Dennoch behandelte er ihn, entleerte den Eiter, gab ihm eine Spritze und wünschte und alles Gute.

 

Erwin war nicht gut drauf, ich schlief bei ihm in der Küche, damit ich nicht verpasste, wen er mal raus musste. zunächst hatte er sich an unseren Tagesablauf gewöhnt, aber man konnte merken, dass er tags sehr schläfrig war und abends sehr aktiv wurde. Ein Käfig für die Nacht wurde auf der Terrasse installiert. Und ein Kratzbaum für Katzen, diverse Höhlen und Spielsachen wurde angeschafft und zierte unsere Küche. Mein Mann war nicht erfreut.

 

Zu allem Überfluss bekam der Gatte dann auch mit, die Erwin es mit der Toilette handhabte, wenn er bei Mutter Lilli mit im Hundebett lag:  er schob den Po über den Rand des Kuschelkissens, auf dem sie lagen und kackte einfach über Bord. Dann rollte er sich zusammen und schlief weiter. Hoppla…. Auf dem Parkett machte sich die Marderwurst nicht so gut. Und sie wurde auch jeden Tag in wenig dicker. Erwin wuchs heran und wurde frecher. Er zauste die Kinder an den Haaren und wollte kämpfen, das konnte man merken. Zum Spielen mussten nun die dicken Handschuhe her. Im Internet las ich, dass Marderkinder irgendwann mit Katzenfutter nicht mehr zurechtkommen, sondern Küken brauchen.  Natürlich sollte es Erwin an nichts mangeln. Unsere eigenen Küken kamen natürlich nicht in Frage. Man konnte tiefgekühlte Küken im Internet bestellen. Gar nicht so teuer: 3 Euro. Sie wurden alsbald geliefert. Allerdings kostet so ein TK Transport per Express eine ganze Ecke mehr, so dass aus den günstigen Küken doch ein kostspieliges Unterfangen wurde. Aber für Erwin war uns nichts zu teuer.

 

Unsere alte Stute Dimma war in diesem Jahr beim Hengst in Lüneburg. Und es kam ein Anruf, ich könne sie abholen, sie wurde untersucht und war tragend. Was für eine Freude, immerhin ist der Hengst ein echter Weltmeister.  Um schnell zurück zu sein, wollte ich sehr früh starten und stand zeitig auf.  Erwin sollte noch schnell ein Küken frühstücken, bevor ich losfuhr. Aber der Stall war leer, das Türchen stand offen, kein Erwin zu sehen. Ich war entsetzt. Rufend rannte ich im Garten umher. Er kam nicht.  Nachdem ich eine Weile erfolglos gesucht hatte, musste ich losfahren, um pünktlich in Lüneburg zu sein. 2,5 Stunden braucht man mit dem Pferdeanhänger mindestens. Von unterwegs rief ich zu Hause an, damit die Kinder aufstehen sollten und Erwin suchen, wenn es hell wird. Keiner ging ran. Mein Herz raste und mein Auto auch. Ruckzuck war ich in Lüneburg, schob die Stute in den Anhänger und machte mich auf den Heimweg. So schnell ging es noch nie. Pferd abgeladen, zack nach Hause. Trödelige Kinder saßen im Pyjama beim Frühstück und kein Erwin in Sicht. Fast fing ich an zu heulen. Wir suchten, riefen und schwärmten aus. Und siehe da: in der Garage zwischen den Müllsäcken kraschpelte etwas. Der kleine braune Erwin hatte den Sack aufgerissen und leckte die Joghurtbecher aus. Waren wir froh, dass er wieder da war. Das Gejubel war groß. Nur bei einem nicht. Mein Mann wurde zunehmend kritisch über den Baby Marder. Er kritisierte die Zeit, das Geld und die Mühe, die wir uns für einen Schädling gaben. Ich klappte die Ohren herunter …..

 

Es kam das Pfingstwochenende, an dem traditionellerweise meine Mutter ihren Geburtstag feierte.  Das Problem daran war: wird würden nach NRW fahren, dort übernachten und 2 Tage weg sein. Meine Großmutter wollte auch mitkommen. Sie ist eigentlich tierlieb, aber ob Marder in ihr Schema passen, konnte ich nicht sagen. Erwins Geruch war auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Wenn meiner Großmutter etwas nicht passt, kann sie ganz schön darauf rumreiten. Eine Fahrt von zweieinhalb Stunden könnte dann ganz schön lang werden, falls sie sich aufregt. Mir wurde mulmig bei dem Gedanken. Die Kinder wollten ein paar Stücke vortragen und dafür sollte das elektrische Klavier mit. Dass der Hund Lilli mitkommen würde, war klar. Es kam Unbehagen auf bei dem Gedanken an die Reise. Das Auto schien mehr als voll: Vier Kinder, Uroma, Klavier, Hund und Marder und ich. Ob der Marder bei den Großeltern willkommen war, wusste ich auch nicht. Im Vorhinein zu fragen, erschien mir zu gefährlich, denn was hätte ich gemacht, wenn sie nein sagen? Den Gatten mit dem Marder alleine zu Hause zu lassen, wäre keine gute Idee. Selbst wenn ich die Schlüssel vom Waffenschrank versteckte, hätte ich Angst, er würde ihn in die Regentonne stippen. Oder irgendwohin fahren und aussetzen, so wie wir das mit den Siebenschläfern immer machen, die wir bei uns im Haus in der Lampe einfangen. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Das Wetter am Pfingstwochenende war herrlich. Zum Glück haben die Eltern nach dem ersten Schrecken Gefallen am Marder gefunden und schlafen durfte er im Gartenraum. Der große Garten verlockte Hund und Marder zum Ausschwärmen, da fiel Erwins Geruch gar nicht auf. Geruht wurde unter einem großen Busch im Schatten. Wir feierten fröhlich und machten uns am Sonntag wieder auf den Heimweg. Ich war erleichtert, alles war gut gegangen.

 

Aber zu Hause nahm der Widerstand zu. Der Marder war erst 14 Tage bei uns und ich hatte mich schon an den Gedanken gewöhnt, dass er wie eine Katze bei uns wohnen würde. Im Internet gab es tolle Geschichten dazu. Viele Menschen haben einen Marder als Haustier. Na gut, vielleicht nicht richtig  viele, aber immerhin einige. Dann stellte mein Mann mich vor die Entscheidung, die Erwins Aufenthalt bei uns beendete: „Der Marder oder ich!“

Es war ihm bitterernst. Aber ich durfte noch ein paar Tage eine geeignete Unterkunft suchen, die Zeit gab er mir. Im Internet fand ich mehrere Auffangstationen für Marder. Eine davon in Soltau. Gar nicht so weit, aber wann sollte ich dort hinfahren? Es war gar eine Zeit und der Gatte drängelte. Freundlicherweise bot der nette Herr von der Wildtierstation an, den Marder in Langenhagen im Tierheim abzuholen, denn da sei er am kommenden Donnerstag um 11 Uhr. Hui, da habe ich Sprechstunde und kann nicht so kurzfristig alle Patienten abbestellen, um den Marder nach Langenhagen zu chauffieren. Was tun? Für einen ganz kurzen Moment überlegte ich, ob ich den Gatten mal frage. Aber nein, undenkbar. Der Termin stand: Donnerstag um 11 Uhr. Mir fiel nur eine Lösung ein: ich musste den Marder irgendwie hinbringen lassen, denn ich konnte nicht weg und niemand sonst hätte diese Fahrt für mich machen können. Erwin besaß mittlerweile einen prima Transportkoffer und konnte so sicher transportiert werden. Bis auf einen leichten Mardermuff, der aus dem Koffer kam, war es eigentlich ein ganz neutrales Paket. Ich bestellte ein Taxi, das um 9:30 Uhr in meiner Praxis den Marder abholen sollte. Der Abschied nahte und mein Herz war schwer, aber ich konnte den unzufriedenen Gatten zu Hause auch nicht länger ertragen, so dass es mir wie die perfekte Lösung erschien, Erwin nach Soltau zu schicken. Dort waren noch fünf andere Marder zur Aufzucht und sollten dann im Spätsommer ausgewildert werden.  

 

Als der Taxifahrer kam, turnte Erwin im Auto gerade auf den Kopfstützen. Ich fing ihn ein, verabschiedete mich herzlich von ihm, drückte eine Träne ab und übergab dem putzig dreinguckenden Taxifahrer die Kiste. Ein großzügiges Trinkgeld obendrein zu dem stattlichen Fahrpreis entlockten ihm ein Grinsen und sie fuhren davon.

 

In Soltau ist Erwin wohlbehalten angekommen und wurde später in die Natur entlassen.